Dialogaufbau

März 12, 2019

Dialogaufbau mit Menschen unter Bedingungen schwerster Beeinträchtigungen der Kommunikationsfähigkeit [Phase F]

Kennwort und Dauer
Dialogaufbau – 3 Jahre (1999 – 2002)

Fachgebiet und Arbeitsrichtung
Behindertenpädagogik / Arbeitsrichtung Rehabilitation. Krisenintervention, Therapie und Eingliederung bei schwerst schädel-hirnverletzten und entwicklungsbeeinträchtigter Menschen (z.B. bei und nach Koma/Wachkoma; bei schwerem Autismus von Menschen aller Altersstufen)

 

Zusammenfassung der Inhalte und Ziele des Projekts

In Form einer Pilot-Studie geht es bei dem geplanten Forschungsvorhaben um drei miteinander in Verbindung stehende Bereiche:

  1. Um die Erfassung der Lebenssituation von Menschen, die aufgrund schwerster Hirnverletzungen bzw. schwerer Entwicklungsstörungen den in diesem Zusammenhang heute praktizierten rehabilitativen Prozessen nicht/nicht mehr zugänglich und folglich entzogen zu sein scheinen. Sie gelten in der Regel als nicht mehr eingliederbar, „rehabilitationsunfähig“ und „austherapiert“.
  2. Um die Erfassung, Analyse und Bewertung derzeitiger Therapieansätze, die, systematisch oder auch unsystematisch, im Focus der Betroffenen zu Behandlungsmodellen zusammengeführt werden. Dabei ist der Schwerpunkt zum einen darauf zu setzen, inwieweit in diesen Konzeptionen Dialog- und Kommunikation als besonders relevant für den Rehabilitationsprozeß angese-hen werden und zum anderen, mit welcher Stringenz diese Konzeptionen dem Anspruch einer Subjekt-, Klient- bzw. Patientenzentrierung zu entsprechen vermögen.
  3. Um die Überprüfung, unter welchen Voraussetzungen ein von mir im Rahmen meiner universitären Forschungs- und Praxistätigkeit entwickeltes und validiertes Konzept der Krisenintervention und Therapie für o.a. Personen mit dem Ziel ihrer (ggf. assistierten) Wiedereingliederung in reguläre Lebens- und Arbeitsformen (Enthospitalisierung) breit praxiswirksam werden kann. Dies sowohl im Sinne stationärer bzw. ambulanter Therapie als auch im Sinne des Transfers mittels einer regionalen Beratungs- und Vermittlungsleistung.

Aus dem gesamten Problemfeld soll der Focus auf die spezifische Situation schädel-hirnverletzter Menschen und der für diesen Personenkreis vorgehaltenen Rehabilitationsmaßnahmen, vor allem auf die Reha 2/Anschlußreha gerichtet werden.

Stand der Forschung

Die pädagogisch-therapeutische Befassung mit Menschen mit von Geburt an bestehenden oder krankheits- bzw. traumatisch bedingten schweren Beeinträchtigungen insbesondere ihrer Hirntätigkeit bzw. ihrer Entwicklung im Laufe von Kindheit und Jugend entspricht unmittelbar den Schwer-punkten meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit.

In deren Rahmen wurde ich immer wieder und – seit unsere Arbeitsergebnisse im deutschsprachigen Raum breiter bekannt wurden – in erheblich zunehmendem Maße mit Lebenssituationen von Menschen konfrontiert, die „aufgegeben“ waren. Aufgegeben hier verstanden einerseits als keiner Rehabilitation mehr zugänglich (rehabilitationsunfähig) bzw. als „austherapiert“, als erziehungs-, lern- und bildungsunfähig und andererseits als derart in stereotypen und selbstverletztenden Handlungen verstrickt, daß sie als nicht lenkbar, nicht gemeinschaftsfähig und als vor sich selbst zu schützen galten. Infolge solcher Zuordnungen wurden immer wieder restriktive Maßnahmen (z.B. mechanische Fixierung, extreme medikamentöse Sedierung, Wegschließen in leere und unattraktive Räume) über Jahre als unumgängliche Behandlungsmaßnahmen legitimiert.

Gemeinsam ist diesen Menschen – unabhängig von der individuellen Krankheits- bzw. Behin-derungsgeschichte – ein in der Regel extremes Maß an Ausgrenzung aus allen üblichen Lebens-, Lern-, Arbeits- und Kulturbezügen durch Verweis in eine rein pflegerische Versorgung institutioneller oder familiärer Art. Sie werden dadurch, bildlich gesprochen, aus einer auf dem Dialog basierenden kooperativen Mitmenschlichkeit entlassen und auf einen Status als Objekt der „Versorgung“ reduziert.

Bezogen auf diagnostische Zuschreibungen handelt es sich um Menschen, die aufgrund schwerer (Schädel-) Hirnverletzungen (krankheits- oder unfallbedingt) im Zustand eines Komas bzw. eines sog. Wachkomas leben, von Geburt an schwerst behindert sind oder aufgrund einer vorliegenden schweren Entwicklungsstörung (z.B. Kern-Autismus) , der spezifische Formen einer vermutlich funktionalen Beeinträchtigung der Wahrnehmungstätigkeit zugrunde liegt, in ihrem Lernverhalten wie in ihren kommunikativen und kooperativen sozialen Kompetenzen und, in Relation zu den üblichen Umwelt- und Alltagsanforderungen, in ihren Möglichkeiten der Alltagsbewältigung derart beeinträchtigt sind, daß die oben beschriebenen Auffassungen hinsichtlich ihrer Habilitation und Rehabilitation zum Tragen kommen.

Mit Bezug auf derart beeinträchtigte Menschen, aber auch auf solche mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen geht in den letzten Jahren die Diskussion verstärkt in Richtung der Frage nach dem „Lebenswert“ derartiger Existenz. Es gibt diesbezüglich eine umfassenden Diskurs um die Frage einer sog. „Neuen Euthanasie“. Im Umfeld dazu spielen auch Fragen des Hirntodkriteriums im Zusammenhang mit der Organentnahme und Fragen der sog. fremdnützigen Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen eine beachtliche Rolle. Die hohe Bereitschaft in der Bevölkerung, oft als Angstabwehr interpretierbar aber auch durch die sparpolitischen Restriktionen motiviert, dem „Abschalten“ lebenserhaltender Systeme bzw. der Beendigung ihrer Ernährung zuzustimmen, verschärft die Lebenssituation der beschriebenen Menschen extrem.

Im Kontext dazu ist zu sehen, daß das in bezug auf schwerst beeinträchtigte Menschen noch immer dominierende, an einem biologistisch verengten, medizinischen Modell bzw. an defizitorientierten Sichtweisen orientierte Menschenbild die aufgezeigten, hoch isolierenden Lebensverhältnisse der bezeichneten Personengruppen weitgehend als gerechtfer-tigt erscheinen läßt. Dies auf dem Hintergrund eines Denkens, daß das eigentliche Problem in der „Natur“ der Betroffenen liege. Diese Sichtweise verschleiert sowohl die Begrenztheit der habilitativen und rehabilitativen Therapie- und Fördermöglichkeiten und der diesbezüglichen institutionellen Rahmenbedingungen als auch den breiten Innovationsbedarf hinsichtlich fachlicher Kompetenzen diesen insbesondere behindertenpädagogisch-thera-peutischen Anforderungen gegenüber. Diese Zusammenhänge skizzieren grob die Lage.

Was nun den Stand der Forschung betrifft, so bezieht sich dieser wesentlich im Rahmen der Entwicklung einer „Behindertenpädagogik“ in den letzten zwei Jahrzehnten auf eine Entfaltung einer subjektwissenschaftlichen Pädagogik und mithin auf die fundamentale Revision eines der Heil- und Sonderpädagogik, aber auch, wie oben angedeutet, der Medizin und Psychologie zugrunde liegendes Menschenbildes in dem Sinne, daß heute – kurz skizziert –

  • die Art und Weise der beobachtbaren menschlichen Tätigkeit als eine Kompetenz dieses Menschen unter den für ihn gegebenen aktuellen wie biographischen Lebensbedingungen verstanden und
  • die Herausbildung eines im Spiegel der diagnostischen Standards diagnostizierbaren Syndroms als entwicklungslogisches Produkt eines Menschen unter seinen spezifischen Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Welt und deren internen Rekonstruktion gesehen werden können.

Mit diesen Formulierungen sind die heute auch partiell in die Neurowissenschaften hineinreichenden Erkenntnisse sehr weitgehend formuliert. Ihre Verankerung in der Heil- und Sonderpädagogik einerseits und die Konsequenzen, die sich andererseits daraus für die Theoriebildung und Praxis der Arbeit mit schwerst behinderten und (entwicklungs-) beeinträchtigten Menschen ergibt, steht in ihren ersten Anfängen. So ist es keineswegs selbstverständlich, daß z.B. Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter mit Wachkoma (Apallischem Syndrom) in die Schulen für Geistigbebinderte (Sonderschulen), wie sie in allen Bundesländern der BRD existieren, aufgenommen werden, ganz zu schweigen davon, daß sie in integrative Erziehungs- und Unterrichts-/Bildungs-Prozesse einbezogen werden. Ferner gibt es so gut wie keine Forschung im Hinblick darauf, wie die o.a. Personenkreise, nachdem, um es einmal so zu formulieren, die vorgehaltenen Reha-Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind und ein Mensch als „Pflegefall“ deklariert wurde (Reha I), seine Habilitation und Rehabilitation weiterbetrieben werden könnte (Reha II). So gibt es für Menschen im (Wach-)Koma kaum klinische Rehamöglichkeiten (bekannt geworden für einen solchen Versuch ist z.B. die Klinik Burgau im Rahmen der Reha I) von adäquaten pädagogischen und psychologischen Fundierungen, von Habilitation und Rehabilitation dieses Personenkreises ganz zu schweigen. Ansätze, die für die beschriebenen Personenkreise behindertenpädagogisch relevant werden, sind

  • das Konzept der „Basalen Stimulation“ . Es wurde von Prof. Dr. Andreas FRÖHLICH (derzeit Inst. für Sonderpädagogik der Abt. Landau der Universität Koblenz-Landau) in Schulversuchen entwickelt und betrifft wesentlich schwerst (geistig-körperlich) mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche; seit einigen Jahren auch unter Einbezug von Kindern mit Apallischem Syndrom und
  • das Konzept für wahrnehmungsgestörte Menschen von Frau Dr. Félicie AFFOLTER (St. Gallen, Schweiz), das als Zusammenhang von „gespürter Information“ und des „Führens“ verstanden werden kann , das auch auf Menschen mit Autismus-Syndrom und im Koma zur Anwendung kommt.

Diese Konzeptionen sind partiell von ihren theoretischen Voraussetzungen her wie in ihrer Praxis durchaus kritisch zu würdigen. Von unseren Erkenntnissen her gesehen kann das Konzept Affolter’s durchaus z.B. bei schwer autistischen Menschen kontraindiziert sein wie es in bezug auf Menschen im (Wach-)Koma reduktionistisch erscheint, vor allem auch wegen der Trennung der sog. „gespürten Information“ von der Versprachlichung der Sachverhalte und des Tuns der betroffenen Personen. Das Konzept Fröhlich’s, wurde zwar sukzessiv von einer Dominanz sensorischen Inputs als Basis von Lernen und der Reduktion von Isolation zu einem der gesamten menschlichen Tätigkeit mehr Rechnung tragenden Konzept hin entwickelt, vermag aber dem heute vorliegenden Erkenntnisstand tätigkeitstheoretischer Betrachtung menschlichen Handelns nur sehr begrenzt Rechnung zu tragen.

Darüber hinaus bestehen, wie aus den vorstehenden Ausführungen heraus deutlich werden dürfte, keine Organisations- Beratungs- und Hilfeformen, durch die den sog. austherapierten, als „Pflegefälle“ deklarierten Menschen, die in Pflegeheimen bzw. psychiatrischen Vollzeiteinrichtungen „versorgt“ werden, hinsichtlich ihrer weiteren Förderung und Kompetenzerweiterung wirksam geholfen werden könnte. Dies, obwohl hinreichend empirische Daten darauf verweisen, daß selbst Menschen, die langjährig im (Wach-)Koma waren, noch erstaunliche Veränderung hinsichtlich ihres Zustandes und ihrer Rehabilitation erkennen lassen, wie auch schwerst autistische Erwachsene erfolgreich Therapien aufgreifen und eingegliedert werden können. Schon 1967 schreibt GERSTENBRAND in bezug auf das Apallische Syndrom: „Schließlich gibt uns die Feststellung, daß sogar bei schwersten Fällen dieses Syndroms eine Rückbildungsmöglichkeit besteht, den Mut, eine intensive Rehabilitationstherapie auch über lange Zeiträume durchzuführen.“ (S. 8)

Entgegen solcher sich inzwischen vielfach bestätigender Befunde gibt es heute nicht einmal eine hinreichende Übersicht, wie viele der oben beschriebenen Menschen in einer Region leben, wo sie leben, wie sie leben. Nach der Reha I, z.B. als „Pflegefall“ eingestuft, verschwinden sie buch-stäblich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, weil sie aufgehört haben, als Menschen von Interesse für die Allgemeinheit zu bestehen. Damit schließt sich der Kreis zu den eingangs gemachten Bemerkungen, daß oft Angehörige in langwierigen Bemühungen auf der Suche nach Hilfe (auch aus dem Ausland kommend) bei uns anfragen, ob wir diese nicht gewähren können. Oft sind die Zustände der betroffenen Menschen dann schon derart desolat, daß Therapie und Eingliederung eine Krisenintervention vorangestellt werden muß, wenngleich in der Praxis diese verschiedenen Momente als Einheit zusammentreten.

Vorarbeiten

Eine erste konsequente Umsetzung der mit der Entwicklung einer „Behindertenpädagogik“ hervortretenden Veränderungen in unserem Fach fand und findet in der Forderung nach der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung aller behinderten und nichtbehinderten Kinder und SchülerInnen in Theorie und Praxis statt. Wesentliche Anstöße zur Entwicklung dieser Möglichkeiten, insbesondere auch der didaktischen Umsetzung, gingen von unserem Studiengang und unseren Forschungen dazu aus. Bereits von 1981 an haben wir eine Integrationspraxis in Bremen im Rahmen der Elementarerziehung (Kindergarten), der Primarstufe und der Orientierungsstufe (Sek. I) entwickelt, durchgeführt und (im Auftrag des Senators für Wissenschaft, Kunst und Bildung) wissenschaftlich begleitet. Dieses Integrationsmodell wurde bereits als eines entwickelt, das kein Kind und keinen Jugendlichen, ganz gleich welcher Art und welchen Schweregrades seiner Behinderung, von der „Integration“, wie diese Entwicklungen im Rahmen der Pädagogik kurz bezeichnet werden, ausschließt. D.h. auch dem hier anskizzierten Personenkreis im vorschulischen und Schulpflichtalter kann eine volle Teilhabe an den Kultur- und Bildungsgütern und am sozialen Verkehr ermöglicht werden. Dies ist auch in Deutschland keineswegs selbstverständlich. In der Regel bleibt gerade der hier beschriebene Personenkreis – seien es Kinder oder Jugendliche – auch von der Integration ausgeschlossen.

Auf dem Hintergrund grundlegender erkenntnistheoretischer Arbeiten zu Fragen von Behinderung, menschlicher Entwicklung wie menschlichen Lernens ist es in den letzten Jahren auch gelungen, die Annahmen der „Euthansie“ befürwortenden Philosophien und Philosophen über diesen Personenkreis zu widerlegen , und auch aus erziehungswissenschaftlicher Sicht zu dieser Ethik-Debatte beizutragen.

Die Konstituierung einer subjektwissenschaftlich fundierten Behindertenpädagogik und Behin-dertenarbeit im anskizzierten Sinne hat auch den Nachweis zu erbringen, wie Menschen, die aufgrund der Art und/oder der Schwere ihrer Beeinträchtigungen schon im Vorfeld integrativ-pädagogischer Bemühungen bzw. der sonderpädagogischen Förde-rung bzw. sonderschulischen Unterrichtung) ausgeschlossen bleiben oder als Erwachsene vom Erziehungs- und Unterrichtssystem nicht mehr erreicht werden können, ihrerseits habilitiert und rehabilitiert, wo sie in institu-tioneller Pflege sind, enthospitalisiert und wie hinsichtlich ihrer Lebensweise eine weitgehende „Normalisierung“ und Integration erfolgen kann.

Das war Anlaß, über viele Jahre hinweg (auch schon in meiner beruflichen Tätigkeit vor der Zeit in Bremen) vor Ort bzw., wenn die Bedingungen es aus der Geschichte der Person heraus bzw. durch die am Lebensort bestehenden Bedingungen es erforderlich machen, z.B. im Rahmen der Fachräume des Stg. Behindertenpädagogik, eine erforderliche Krisenintervention und Therapie zu leisten und in Folge eine weiterführende Rehabilitation einzuleiten; dies mit dem Ziel weitest möglicher Eingliederung und selbstbestimmter Lebensweise. Auf dem Hintergrund der schon angedeuteten Erarbeitung eines gegenüber dem traditionellen Denken in der Heil- und Sonderpädagogik und ihren Nachbarwissenschaften völlig revidierten Menschen- und mithin Behinderungsbildes und des dadurch möglich gewordenen Verständnisses der die Behinderung und/oder Beeinträchtigung eines Menschen kennzeichnenden Auffälligkeiten in seiner Wahrnehmung, seinem Denken und Handeln als Kompetenzen zu begreifen, eine Arbeitsweise zu entwickeln, die als eine Basis-Therapie bezeichnet werden kann.

Die vorläufige Bezeichnung dieser Arbeitsweise ist: „Substituierend Dialogisch-Kooperative Handlungs-Therapie (SDKHT)“. Schon die Begriffe kennzeichnen zentrale Momente dieser Konzeption. Sie kann insofern als Basis-Therapie bezeichnet werden, als auf fundamentale Weise die noch nicht aufgebauten oder zerfallenen Beziehungen zu den Mitmenschen bzw. zur Dingwelt aufgebaut (Habilitation) und/oder deblockiert, wieder integriert bzw. durch Neulernen komplettiert werden (Rehabilitation). Dies auf der Basis eines Dialoges mit Personen, die weitgehende Angstfreiheit, Sicherheit und andere fundamentale Lebensprozesse stabilisierende Funktionen wahrnehmen. Dieser generiert für die betroffene Person und ihre fundamentalen physischen und psycho-sozialen Lebensprozesse subjektiven „Sinn“ und ermöglicht ihm eine „Bindung“ an die derart bedeutend werdenden Bezugspersonen. So können neue „Beziehungen“ eingegangen werden, die im kooperativen Miteinander in der gemeinsamen Alltagsbewältigung auch die Aneignung kultureller Bedeutungen ermöglichen.

Die SDKHT ist heute in vielen Zusammenhängen (in Kliniken: intensivmedizinische, neurologische u. psychiatrische Abteilungen; Heimen, Werkstätten, Kindergärten, Schulen; Familien) und in allen deutschsprachigen Ländern erprobt und auch von Menschen erfolgreich in der Kooperation mit schwerst beeinträchtigten Menschen zum Tragen gekommen, die nicht originär bei uns studiert haben und in diese Arbeitsweise eingewiesen und darin supervidiert worden sind, sondern sie über Fortbildung und Beratung erlernten. D.h., die theoretische Fundierung dieser Arbeitsweise ist empirisch bestätigt, sie ist lehrbar und aneigenbar. Damit eröffnet sich ein breites Feld an Möglichkeiten, für den beschriebenen – nach Maßgabe der Reha I – „rehabilitationsunfähigen“ bzw. „austherapierten“ Personenkreis, dem nur noch „Hilfe zur Pflege“ gewährt wird, in Form einer „Reha II“ Möglichkeiten zu schaffen, aus dem Zustand hochgradiger Isolation, Deprivation, Depression und Zurückgeworfenheit auf sich selbst (in dem der eigene Körper oft einzig verbleibendes Objekt der Auseinandersetzung bleibt – siehe z.B. selbstverletzende Verhaltensweisen) herauszukommen und neue Lern- und Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen.

Die Erstpublikation der Basis-Therapie SDKHT ist in Vorbereitung. In bezug auf die Frage der Rehabilitation von Kindern im Apallischen Syndrom liegt ein umfassendes Gutachten vor, das den gesamten Prozeß der Reha-II und Eingliederung eines Knaben einschließlich der diagnostischen, curricularen, didaktischen, methodischen, medialen und therapeutischen Implikationen in Form einer Fallstudie beschreibt. Es war Grundlage eines Klageverfahrens, das die erziehungsberechtigten Eltern dieses Jungen hinsichtlich Schmerzensgeldzahlung (Fremdverschulden), Rehabilitation und Eingliederungsmaßnahmen gewonnen haben. In Folge stehen auch Veränderungen hinsichtlich der Auffassungen des Bundesgerichtshofes in bezug auf Schmerzensgeldzahlungen an Menschen im Apallische Syndrom .

Ziele

Mit dem beantragten Forschungsvorhaben geht es im allgemeinen darum, die theoretischen Basisdaten zu eruieren, die im Sinne einer vorbereitenden Transferleistung die Grundlagen dafür bilden können, zukünftig auf erweitertem Feld die Arbeitsansätze der SDKHT praxiswirksam werden zu lassen. Im Blick stehen dabei insbesondere:

  1. Maßnahmen der Prävention, Krisenintervention und Therapie im konkreten Handlungsfeld als auch
  2. Die Beratungsebene im Sinne von Supervision und des Counseling bzw. des Case management.

Damit verbunden ist i.e.S. der Zielsetzung des Forschungsvorhabens

  1. die Erhebung der aktuellen Möglichkeiten der Rehabilitationspraxis und ihrer Grenzen in bezug auf den Personenkreis schwerst (entwicklungs-) beeinträchtigter Menschen;
  2. die Erkundung und quantitative wie qualitative Erfassung der Lebenssituation und -orte der betroffenen Menschen in Institutionen und ihren Familien;
  3. die Ausweitung der Therapieforschung i.S. der Vertiefung der wissenschaftlichen Erkenntnisse vor allem um die weitere Erforschung der Bedeutung des personalen Beziehungsprozesses (des Dialogs) für den Erfolg und die Effizienz der SDKHT und um Fragen des Dialogaufbaus;
  4. die Grundlegung einer Praxis der auf individuelle Kompetenzsteigerung, Selbstbestimmung und Eingliederung/Integration ausgerichteten Basistherapie (SDKHT) in Arbeitsfeldern der Reha II unter Berücksichtigung der räumlichen, sächlichen und quantitativen wie qualitativen personalen Aspekte;
  5. die Konzeptionierung eines Beratungs- und Informationszentrums, aus dem heraus ein EDV-gestützter Datenaustausch zwischen der Bedarfsebene und der Angebotsebene realisiert werden kann.

Es wird deutlich, daß unter dem Punkt 3. im Kontext der gesamten Zielperspektiven verstärkt der grundlagenwissenschaftliche Aspekt des Forschungsvorhabens zu verfolgen sein wird, dem ein besonderer Stellenwert einzuräumen sein wird. Die damit verbundenen Fragestellungen könnten im Rahmen einer Dissertation bearbeitet werden. Damit wäre schwerpunktmäßig

  • ein philosophisches Verständnis des Dialogbegriffes (siehe z.B. die Dialogik Martin Buber’s),
  • ein erziehungswissenschaftliches (siehe z.B. die Theorie der „Kategorialen Bildung“ und das Prinzip der „Doppelseitigen Erschließung“) unter didaktischen Gesichtspunkten
  • ein entwicklungspsychologisches (z.B. in den Arbeiten von René Spitz zur Entwicklung der Objektbeziehungen bis hin zur Ich-Psychologie) und
  • ein psychotherapeutisches (z.B. im Kontext der Fragen von Identifikation und Übertragung)
  • und ein neurowissenschaftliches (z.B. im Sinne der Kognitions- und Bewußtseinsforschung)

Verständnis des Dialogbegriffes aufzuarbeiten und kritisch zu würdigen, in seinen Wechselbezügen zu analysieren und in seiner Bedeutung für die Behindertenpädagogik i.S. der oben dargestellten Problemfelder zu bestimmen. Dem beschriebenen Personenkreis ist eine fundamentale Beeinträchtigung und Störung der Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationsmöglichkeit eigen. Damit gewinnt die Klärung und Lösung der Frage, wie eine Dialogfähigkeit aufgebaut werden kann, zentrale Bedeutung für das Dissertations-Vorhaben.

Tangiert sind weitgehende gesundheits-, sozial und bildungspolitisch relevante gesellschaftliche Fragestellungen, denen im Spiegel der aktuellen „Lebenswertdebatte“ und in Anbetracht der „Sparzwänge“ / „Ressourcenbegrenzung“ eine weitreichende Bedeutung zukommt. Dies auch ganz kon-kret für die Region im Sinne des Wissenschaftstransfers. Dieser besteht im Rahmen meiner Lehr- und Beratungstätigkeit (auch in der Schweiz und besonders in Österreich) heute bereits bezogen auf erkenntnistheoretische Momente, auf die Theoriebildung innerhalb der Bereiche Erziehungswissenschaft, Pädagogik und Therapie (letztere auf Einzelfälle bezogen) in umfassender Weise. Im Kontext einer Gastprofessur im Sommersemester 1996 an der Medizinsichen Fakultät der Univ. Wien konnte ich im Okt. 1996 vor dem Nationalrat und den Abgeordneten im Österreichischen Parlament zu Grundsatzfragen sprechen, wie sie hier skizziert und aufgeworfen worden sind

Intendiert wäre also die Konvertierung der heute im Rahmen von Forschung, Lehre und Ausbildung (Fort- u. Weiterbildung) diesbezüglich bereits entwickelter Möglichkeiten der Früh- und Anschlußreha schwerst beeinträchtigter Menschen in ein praxisfähiges Versorgungskonzept.

Arbeitsprogramm

Im Kontext der skizzierten Zielsetzungen bedarf es im Rahmen des Forschungsvorhabens der Erarbeitung

A. des klientspezifischen Kontextes zur Versorgungssituation durch

  1. die Erhebung und Feststellung der entsprechenden Lage und Bedarfe in einem überregionalen Kontext,
  2. die Erhebung und Feststellung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum Krisenmanagement und dessen Effizienz i.S. der Evaluation erfolgreich erhaltener bzw. wiederhergestellter Eingliederung und
  3. die Erhebung und Feststellung des Verbleibs des bezeichneten Personenkreises im Sinne von Psychiatrisierung, Hospitalisierung, des Verweilens in Alten- und Pflegehei-men bzw. Familien (ohne angemessene Reha/Therapie);

B. der wirtschaftlich-rechtlichen Rahmenbedingungen durch

  1. Kostenanalysen alternativer Versorgungskonzepte,
  2. Ausformulierung möglicher Einbettung der angestrebten therapeutischen und beratenden Lei-stungen in den Rahmen existierender und zu gewinnender Kostenträger;

C. der (kommunikativen) Rahmenbedingungen für die Einrichtung eines unabhängigen, Beratungs- und Gutachtergremiums, das für betroffene Personen Beratungskapazitäten vorhält, Therapiebedarfe feststellt und Vorschläge ihrer Realisierung unterbreitet.

  1. Die systematische Erfassung der institutionellen Versorgungslandschaft unter quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten;
  2. die Erarbeitung des Konzepts einer überregionalen Datenbank, in der Versorgungsbedarfe und freie Kapazitäten „just in time“ zusammengeführt werden können.

Das impliziert u.a. auch die Aufnahme systematischer Kontakte z.B. zu Krankenkassen, zu Renten- und örtlichen wie überörtlichen Sozialhilfeträgern, Wohlfahrtsverbänden und Organisationsgesellschaften, die im Bereich der Planung und Neuorganisation von Gesundheits- und Rehabilitationseinrichtungen tätig sind. Diesbezüglich bestehen auch über Bremen hinaus bereits langjährige und intensive Arbeitskontakte, die im Sinne der vorgestellten Zielsetzung weiter auszubauen und unter der genannten Perspektive zu intensivieren sind. Dies vor allem auch zur seit März 1997 eingerichteten Station für Schwerst-Schädel-Hirnverletzte (Frührehabilitation) der Neurochirurgischen Klinik des Ev. Krankenhauses Oldenburg, die von Herrn Dr. med. Andreas ZIEGER (Arzt für Neurochirurgie) geleitet wird und auf die Nord-West-Region bezogen ist. Ebenso sind zu den verschiedensten Verbänden und Selbsthilfegruppen, die sich um schwer Hirngeschädigte i.S. von Koma und Wachkoma bemühen, Kontakte zu intensivieren. Eine der größten diesbezüglichen Organisationen ist heute der Selbsthilfeverband „Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.“ und „Apalliker in Not e.V.“ in Amberg. Kontakte vor allem auch zum Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen, Herrn Finke, und zum Kuratorium ZNS für Unfallverletzte und Schäden des Zentralnervensystems, Bonn, wären ergänzend zu erwähnen.

Die anskizzierten Arbeiten kennzeichnen auf dem Hintergrund, daß es diesbezüglich kaum einen hinreichenden Forschungsstand gibt, die zu leistenden Arbeiten als Pilotstudie. Erste, im Rahmen von Examens- und Diplomarbeiten unter vergleichbaren Fragestellungen erhobenen Befunde , verweisen auf einen dringlichen Bedarf einer sog. „Reha II“. Bezogen auf die Bundesländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig Holstein konnten wir feststellen, daß, um nur einige Zahlen zu nennen, im Lebensalter ab 20 Jahren, 42,9% der Menschen im Wachkoma, vor ihrer Betreuung in Altenheimen einen Rehabilitationsplatz hatten. d.h. die Reha I war bei diesen Menschen nicht erfolgreich; sie wurden als „Pflegefälle“ entlassen. Wiederum 57,1% der Menschen im Wachkoma., die in Pflegeheimen betreut werden, hatten vor ihrer Einweisung in diese keinen Rehabilitationsplatz. Das verdeutlicht u.a. auch, daß Menschen mit sehr schweren Graden der Schädel-Hirnverletzung nach Maßgabe der Reha-I-Konzeptionen schon von vornherein als „reha-bilitationsunfähig“ eingestuft wurden. Allein diese wenigen Hinweise dürften die Bedarfslage für allein diesen Personenkreis deutlich werden lassen – und die damit verbundene persönliche Not.

Zwischenbericht Forschungsprojekt zum Januar 2001

Erarbeitung einer schriftlichen Zusammenfassung der Erkundungen zur Versorgungssituation von Menschen mit Hirnverletzungen und äußerst bedingter Rehabilitation in Bremen und Niedersachsen

Planung und Organisation einer bundesweiten Fachtagung zur Versorgungssituation der Menschen zu Punkt 1. in Zusammenarbeit mit dem Lehrgebiet Pflegewissenschaften, der Reha-stätte Friedehorst und des Selbsthilfeverbandes Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.

Kooperationen
  • Kooperation mit den Pflegewissenschaften – siehe auch Punkt 2.
  • Kooperation mit dem Bundesverband „Schädel-Hirnpatienten in Not e.V.“
  • Besuche in Amberg beim Sitz des Verbandes
  • Teilnahme an Symposien in Amberg und Kassel
  • Begleitung der örtlichen Selbsthilfegruppe im Landkreis Rotenburg/W.
  • Anbindung an die Erfahrungswelt der Betroffenen und ihrer Angehörigen
Kontaktaufbau und -pflege zu Einrichtungen der Rehabilitation in Bremen und Niedersachsen und ihrer Verbände
  • Früh-Reha in Bremen Ost und Oldenburg
  • Reha-Klinik in Jeesteburg und Soltau
  • Reha-Phase F Einrichtungen in Emmlichheim und Bruchhausen-Vilsen
  • Bundes- und Landesarbeitsgemeinschaft der Reha-Phase F
  • Arbeitgeber- und Berufsverband Privater Pflege (ABVP)
Schwerpunktbildung: Begleitung und Beratung in der Rehabilitation. Kontaktaufnahme und Austausch mit (Modell)einrichtungen der Rehaberatung in Bayern
  • Einrichtung der Rummelsberger Anstalten in Nürnberg und Ansberg
  • Einrichtung ‚Zafor‘ in Ingolstadt
  • Erkundung rechtlicher und inhaltlicher Ausgestaltung der Rehaberatung
  • Literatur zu Konzepten und Erfahrungsberichten aus Einrichtungen
  • Rechtliche Grundlagen (Landespflegegesetze)
  • Forschungsprojekt zur Reha-Wirklichkeit (Universität Witten-Herdecke)